Vor zwei Wochen erhielt der SPICKER die Chance, ein Interview mit Nazar zu führen, dem momentan einzigen aus der Ukraine geflohenen Schüler an unserer Schule.

Nazar geht am MRG in die neunte Klasse und ist 15 Jahre alt. Er kam bereits vor mehreren Monaten an unsere Schule und hat in der Ukraine bereits Deutsch gelernt. Dadurch konnte auch das Interview mit ihm auf Deutsch geführt werden, jedoch wurden bei der Verschriftlichung die Aussagen des Interviews auf Satzbau- und Rechtschreibfehler korrigiert. Es fand am Freitag, den 10. Juni 2022 statt und ging insgesamt über eine Stunde. Die Fragen beschäftigten sich unter anderem mit Nazars Flucht über Polen nach Deutschland, unserer Schule und seinen Ansichten über Russland – es liefert tiefe Einblicke in ihn selbst und das, was er erlebte.

Anmerkung der Redaktion: Aussagen in diesem Interview spiegeln allein die Meinung von Nazar wieder, der SPICKER gibt diese lediglich wieder. Aufgrund von Nazars Alter und emotionaler Involviertheit kann man keine differenzierte und fundierte Meinung erwarten.

SPICKER: In welche Klasse gingst du vor der russischen Invasion in die Ukraine und in wo wohntest du in der Ukraine?

Nazar: Ich habe in Kyjiw* gelebt, also in der Hauptstadt. Eine sehr alte und schöne Stadt. In der Ukraine hat das Schuljahr schon am 1. Juni geendet und jetzt sind Ferien, deswegen wäre ich bereits ab September in der 10. Klasse.

SPICKER: Was machst du momentan gerne in deiner Freizeit?

Nazar: Ich gehe gerne spazieren und Rad fahren, ansonsten programmiere ich Spiele und Apps. Ich spiele auch gerne Computer mit meinen Freunden und habe auch noch guten Kontakt zu ihnen über Skype.

SPICKER: Deine Flucht begann bereits am 24. Februar 2022, dem ersten Tag der russischen Invasion. Was hast du von dem Krieg in der Ukraine mitbekommen und wie verlief deine Flucht?

Nazar: Am 24. Februar gab es sehr viele Autos auf den Autobahnen und deswegen war die Reise sehr, sehr anstrengend und lang. Überall war Stau. Meine Mutter, meine eine Oma und ich fuhren zur polnischen Grenze und brauchten zwei Tage bis wir sie überquerten, weil es überall Stau gab, die Autos sind sehr langsam gefahren. Mein Vater ist in der Ukraine geblieben, weil die Männer ab 18 Jahren die Ukraine nicht verlassen dürfen. (Anm. d. Red.: Nazar bezieht sich hier auf auf die Generalmobilmachung, bei der wehrpflichtige Männer das Land nicht verlassen dürfen.)

An der Grenze gab es Volontäre (Anm. d. Red.: Freiwillige), die der ukrainischen Flüchtlingen helfen. Einige polnische Volontäre haben uns nach Krakau (Anm. d. Red.: Stadt in Polen) mitgenommen, wir fuhren eine Stunde mit dem Auto. Wir haben fast nicht geschlafen.

Wir haben dort in Krakau ein paar Tage gewohnt, währenddessen suchten wir nach einem Zug nach Deutschland. Wir haben in einem Hotel gewohnt. Die Freiwilligen haben mit dem Hotelbesitzer vereinbart und er hat uns erlaubt ein bisschen in dem Hotel zu Wohnen, etwa drei Tage.

Wir fahren erstmal nach Berlin und danach waren wir umgestiegen und fuhren nach Essen. Da war die Familie von einem Freund meines Vaters. In Essen haben wir drei Wochen mit den Bekannten gewohnt. Und danach sind wir nach Hamburg umgezogen, weil wir hier eine Mietwohnung gefunden haben.

SPICKER: Wie kamst du an das Margaretha-Rothe-Gymnasium?

Nazar: Wir haben im Internet nach einer Schule für mich gesucht dafür auch Bewerbungen verschickt. Herr Lafon hat uns geantwortet und uns zu einem Termin eingeladen. So bin ich an diese Schule gekommen. Sie ist nicht sehr weit von unserer Wohnung entfernt.

SPICKER: Wie findest du das Margaretha-Rothe-Gymnasium?

Nazar: Echt sehr gut. Ich mag an der Schule, dass es im Unterricht ganz viele Materialien und Daten gibt. Ich verstehe viel und kann gut lernen. Die Lehrer und die Mitschüler sind sehr nett.

SPICKER: Hast du noch Verwandte, die momentan in der Ukraine sind und hast du Angst um sie?

Nazar: Ja, mein Vater und meine eine Oma in Kyjiw*. Ich hoffe, dass alles gut mit ihnen ist. Es ist aber nicht so bedrückend. Ich habe keine Angst, weil ich nicht etwas befürchten will. Ich will überhaupt keine Angst vor irgendwas haben, ich habe Angst vor nichts.

SPICKER: Und wieso seid ihr nach Deutschland geflohen?

Nazar: Wir sind genau nach Deutschland gefahren, weil ich Deutsch sprechen kann. Ich habe auch das Ziel, in Deutschland zu studieren.

SPICKER: Willst du, wenn der Krieg vorbei ist, wieder zurück in die Ukraine?

Nazar: Ja. Ich wollte, aber niemand weiß, wann es möglich sein wird. Der Krieg kann sehr lange dauern, das kann man nicht vorhersagen. Ich habe den Plan, weiter in Deutschland zu lernen und zu studieren. Überhaupt wäre es aber gut, in die Ukraine zurückzugehen, aber das ist nicht realistisch.

SPICKER: Und noch eine etwas ungewöhnliche Frage: Was denkst du über Putin oder Russland?

Nazar: Russland ist eine sehr große terroristische Organisation, die gestoppt werden muss. Falls man das nicht macht, wird Russland neue Kriege führen und alle anderen Länder bedrohen. Und das geht nicht nur das Putin-Regime an, sondern überhaupt auch den ganzen Staat.

SPICKER: Hast du noch eine Botschaft oder etwas, was du den Leser*innen des SPICKERs mitteilen möchtest?

Nazar: Ich finde, es ist eine sehr gute Möglichkeit, am Margaretha-Rothe-Gymnasium zu lernen. Ich bin sehr froh, dass ich diese Chance habe.

* Anmerkung der Redaktion: Die Hauptstadt der Ukraine wird häufig in der Schreibweise „Kiew“ geschrieben, die der russischen Schreibweise folgt. Die ukrainischen Regierung spricht sich jedoch für die ukrainische Schreibweise aus, im Deutschen „Kyjiw“, auch Nazar ist dies sehr wichtig und daher wurde es auch konsequent in diesem Interview angewendet.

Dieses Interview gehört zu einer zweiteiligen Serie, die Interviews zum Ukrainekrieg im Zusammenhang mit unserer Schule veröffentlich. In dem zweiten Teil beantwortet unser Schulleiter Herr Plümpe Fragen über die Aufnahme von aus der Ukraine geflohenen Schüler*innen an unserer Schule. Hier geht es zu dem Interview mit Herrn Plümpe.

Von Leon Till

2 Gedanke zu “Einer, der aus der Ukraine floh — Ein Interview mit einem Schüler aus der Ukraine”
  1. Das Interview mit Nazar zeigt die persönlichen und emotionalen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf einen Jugendlichen. Seine Flucht und Trennung von seinem Vater sind traurige Ereignisse, die man sich kaum vorstellen kann. Es ist ermutigend zu sehen, dass er sich in Deutschland wohl fühlt und die Schule besucht. Es ist wichtig, dass Schulen und Gemeinschaften Flüchtlingen bei ihrem Übergang in ein neues Leben helfen und ihnen Unterstützung und Zuflucht bieten.

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