Das folgende Interview entstand am 23. April im Anschluss an die MR fragt-Podiumsdiskussion „Klimaschutz und Kapitalismus – ein Widerspruch?”. Es versucht zu ergründen, warum Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann unser Wirtschaftssystem Kapitalismus zwangsläufig und zeitnah auslaufen sieht und wie ein alternatives Wirtschaftssystem aussehen könnte.

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Die verschriftliche Version des Interviews weicht leicht von der Aufzeichnung ab und wurde nachträglich zum Beitrag hinzugefügt. Die Veröffentlichung dieser wurde von Ulrike Herrmann genehmigt. Zwischenüberschriften wurden ergänzt.

Kapitalismus und Systemkrise

SPICKER: Herzlich willkommen Ulrike Herrmann, hier direkt im Anschluss an die MR-fragt-Podiumsdiskussion zum Thema „Kapitalismus und Klimaschutz – ein Widerspruch?“. Dazu haben Sie eine starke Meinung und brachten auch vor zwei Jahren ein Buch mit dem Titel „Das Ende des Kapitalismus“ heraus, welcher beschreiben soll, dass der Kapitalismus in diesem Jahrhundert entweder zusammenbrechen oder abgeschafft werden wird.

Herrmann: Ja, um vielleicht ein Missverständnis zu vermeiden: Ich bin keine Kapitalismuskritikerin, ganz im Gegenteil, ich bin fasziniert vom Kapitalismus, weil er das das erste dynamische Wirtschaftssystem in der Menschheitsgeschichte war. Zum ersten Mal gab es Wachstum pro Kopf, davon haben wir alle profitiert. Das einzige Problem ist, dass der Kapitalismus nicht nur Wachstum erzeugt, sondern auch Wachstum benötigt, um stabil zu sein. Und es ist eine Banalität, dass man in einer endlichen Welt nicht unendlich wachsen kann. Es gibt eben eine Grenze, die in jedem Fall sichtbar ist: Die Umweltgrenze oder eben die Klimakrise. Diese Grenze kann man nicht weiter ignorieren, sondern dafür braucht man jetzt eine Lösung.

SPICKER: Sie beschreiben den Kapitalismus als ein System, das in England im 18. Jahrhundert entstanden ist und sich seitdem fortentwickelt hat, zuvor habe es nur stagnierende Agrargesellschaften gegeben. Daraus ergibt sich die Frage: Wie definieren Sie Kapitalismus ganz konkret?

Herrmann: Der Kern des Kapitalismus ist, dass er Wachstum pro Kopf erzeugt. Dieses Wachstum entsteht dadurch, dass man in Maschinen investiert, um Güter und Dienstleistungen herzustellen, die man dann mit Gewinn verkauft. Im Kern des Systems stehen also die Maschinen, die auch das Wachstum schaffen. Wenn man pro Mensch mehr herstellen kann, dann liegt das nicht an uns, sondern an den Maschinen. Diese laufen nur mit Energie und bisher waren das die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas. Immer wenn man diese verbrennt, entsteht nebenher jede Menge CO₂. Das heißt, die Klimakrise ist eine Systemkrise des Kapitalismus.

Die Idee ist dann natürlich von ganz vielen Leuten: Wenn der Kapitalismus Wachstum braucht, um stabil zu sein, dann machen wir eben grünes Wachstum. Grünes Wachstum ist die offizielle Idee aller Parteien in Deutschland, von den Linken bis zur CSU. Auch von der EU unter mit dem „Green New Deal“, der Weltbank, dem Internationaler Währungsfond, dem Weltklimarat, der Europäischen Zentralbank, der Bundesbank und allen Ökonomen. Alle sagen immer grünes Wachstum. Und die Idee, auf Technik zu setzen, wäre auch eine attraktive Idee, wenn Sie denn funktionieren würde. Man will also Solarpanele, Windräder, Elektroautos, grünen Wasserstoff und grünen Stahl – das will man alles entwickeln, damit man dann weitermachen kann wie bisher. 

SPICKER: Nach Ihnen würde man gesamtgesellschaftlich also auf grünes Wachstum setzen. Warum sagen Sie, dass man eben nicht alles einfach auf Ökostrom umstellen kann?

Herrmann: Man müsste ja mit Ökostrom die fossilen Energien Kohle, Gas und Öl ersetzen, denn da kommt ja ein sehr großer Teil des CO₂ her, ungefähr 75 Prozent der Treibhausgase. Doch zum ersetzten dieser muss der Ökostrom überhaupt reichen. Auf den ersten Blick sieht das auch ganz einfach aus: Die Sonne schickt 6.500-mal mehr Energie zur Erde, als alle Menschen im Augenblick benötigen. Wir baden in Sonnenenergie, aber es reicht eben nicht, wenn die Luft draußen warm ist, man muss diese Sonnenenergie irgendwie bündeln. Dafür gibt es nur zwei Technologien, die man in großem Maßstab ausbauen kann: Solarpanele und Windräder. Man kann also wirklich nur Strom klimaneutral erzeugen und muss also die gesamte Volkswirtschaft auf Strom umstellen – nicht nur den Strom, den wir schon haben, sondern auch Heizungen, Verkehr und Industrie. An den neuesten Zahlen sieht man, dass momentan Windräder sechs Prozent und Solarpanele drei Prozent des deutschen Energieverbrauchs abdecken, man muss also noch über 90 Prozent der Volkswirtschaft auf Ökostrom umstellen – da sieht man ganz schnell, dass man das nicht hinkriegen wird.

Um noch zwei Probleme anzusprechen: Jeder weiß, dass der Wind nicht immer weht, die Sonne nicht immer scheint und man also auch riesige Mengen speichern muss. Dafür gibt es auch nur zwei Technologien: Batterien und grüner Wasserstoff – beide teuer –, Ökostrom wird also knapp und teuer bleiben und nicht im Überfluss vorhanden sein. Es geht also gar nicht ums grüne Wachstum, sondern um grünes Schrumpfen. Man muss natürlich so viele Windräder und Solarpanele wie denkbar installieren, aber dann wird trotzdem die Wirtschaftsleistung sinken müssen.

Annahmensicherheit

SPICKER: Sie setzen eine Menge an Annahmen voraus. Wie können Sie sich so sicher sein, dass wirklich all diese Annahmen stimmen? Es gibt beispielsweise auch die Idee, dass Innovation weitere Möglichkeiten schaffen würde, die man jetzt noch gar nicht vorhersehen könne.

Herrmann: Innovation ist sehr wichtig und muss auch weitergehen, aber wenn wir über die Klimakrise reden, reden wir nicht mehr über die Zukunft, sondern über die Gegenwart. Wir haben jetzt schon +1,5 °C. Es gibt gar keine CO₂-Budgets mehr, die man noch irgendwie verteilen könnte. Weil man also eigentlich sofort auf das CO₂-Emittieren¹ verzichten müsste, ist irgendwie klar, dass wir diese Klimakrise mit der Technik bewältigen müssen, die wir haben. Wir können nicht noch Jahrzehnte auf irgendeine Entwicklung eines Fusionsreaktors warten, es muss jetzt passieren. Wenn man sich die Technik, die uns jetzt zur Verfügung steht, anschaut, ist klar, dass sie nicht in der Lage sein wird, diesen riesigen Kapitalismus plus Wachstum zu befeuern.

Schrumpfen zum Überleben

SPICKER: Die Wirtschaft muss nach Ihnen also schrumpfen. Sie schlagen da ein Schrumpfen von 30 bis 50 Prozent vor, was dann ein Lebensstandard von 1978 wäre…

Herrmann: Bevor wir da weitermachen: Weil alle Volkswirte ja der Meinung sind, dass grünes Wachstum möglich sei, wird grünes Schrumpfen überhaupt nicht modelliert. Keiner weiß also, ob wir um minus 10, minus 30 oder um minus 50 Prozent schrumpfen müssen. Doch wenn der Kapitalismus schrumpfen muss, egal um welche Zahl, ist er tot, da er ja wachsen muss. Im Worst Case würde man um minus 50 Prozent schrumpfen und würde in der Tat in Westdeutschland 1978 landen. Das ist jetzt für alle, die so wie ich dabei waren, nicht schlimm. Wir hatten eine normale Rentenversicherung, wir hatten Krankenhäuser, wir hatten eine Bildungsexplosion, man hat auch nicht gehungert, man hat nicht in Steinzeithöhlen gelebt – es war alles okay und man war genauso glücklich wie heute. Heute ist die Wirtschaftsleistung doppelt so groß, aber das Glück hat sich überhaupt nicht verdoppelt, sondern ist irgendwie genau das Gleiche geblieben.

SPICKER: Ihr Vorschlag ist jetzt, den Kapitalismus abzuschaffen und ihn durch ein anderes System zu ersetzen. Sie prägen da den Begriff „Überlebenswirtschaft“. Was meinen Sie damit und welchen historischen Vergleich ziehen Sie da?

Herrmann: Wir müssen den Kapitalismus, unser Wirtschaftssystem, schrumpfen, welches aber Wachstum braucht, um stabil zu sein. Wie kriegt man das also hin? Man kann sich das so vorstellen: Auf der einen Seite der Kapitalismus, der auch noch wachsen muss, um stabil zu sein. Auf der anderen Seite die ökologische Kreislaufwirtschaft, wo man nur noch verbraucht, was man recyceln kann, was ungefähr so groß wäre wie 1978, und wo der Ökostrom reichen würde, um das Gesamtsystem zu befeuern. Die Preisfrage, die nie diskutiert wird, ist also: Wie kommt man also vom Kapitalismus aus da hin, ohne unterwegs Millionen von Arbeitslosen zu produzieren? 

Ich selbst habe Geschichte studiert und immer, wenn Historiker ein Problem sehen, egal welches, gucken die dann sofort in der Geschichte, ob irgendwo irgendetwas auftaucht, das irgendwie als Analogie dienen könnte. Und da wird eben die britische Kriegswirtschaft ab 1939/40 wirklich interessant, weil die Briten eben damals aus anderen Gründen vor genau dem gleichen Problem standen. Sie hatten den Zweiten Weltkrieg nicht kommen sehen und nicht genug Waffen, um sich gegen Hitler zu verteidigen. Und da blieb ja nur noch eine Lösung. Man hat die Zivilwirtschaft geschrumpft, um die Flächen in den Fabriken für das Militärgerät freizumachen. Dieser Militärteil ist für uns uninteressant. Interessant ist, wie die Briten ihre Zivilwirtschaft geschrumpft haben, denn da kann man, glaube ich, schon lernen: Sie haben nichts verstaatlicht, alles blieb privat, aber der Staat hat eben Vorgaben gemacht und geplant, was noch produziert wird. Die knappen, produzierten Güter hat der Staat gerecht verteilt: Arm und Reich bekamen das Gleiche, man hat rationiert. Diese Kombination von Privateigentum, staatlicher Planung und Rationierung sind, glaube ich, auch die Elemente unserer Zukunft. 

Verzicht und Rationierung

SPICKER: Da würden laut Ihnen jetzt auch einige Wirtschaftszweige nahezu komplett wegfallen, darunter Investmentbanken, Privatwagen oder Flugverkehr, einfach weil die Energie dafür nicht ausreichen würde.

Herrmann: Da muss man jetzt unterscheiden: Beim Flugverkehr ist tatsächlich das Problem, dass die Ökoenergie nicht reichen wird, um grünes Kerosin herzustellen. Man kann synthetisches Kerosin herstellen, aber aus physikalischen, nicht technischen, Gründen kostet das wahnsinnig viel Energie und wird rein physikalisch immer sehr energieintensiv bleiben. Ähnlich ist es beim E-Auto. Das Prinzip Auto ist: Ich bewege 2,5 Tonnen Material, um im Durchschnitt 1,3 Personen zu transportieren, auch dafür wird der Ökostrom nicht reichen. Beim Investmentbanking ist es anders: Man kann Kredite nur zurückzahlen, wenn die Wirtschaft wächst. Wenn die Wirtschaft schrumpft, gibt es auch keine Gewinne, keine Rendite mehr. Beim Investmentbanking geht es aber immer um Rendite. In dem Moment, wo eine Wirtschaft schrumpft, ist das Investmentbanking tot.

SPICKER: In Ihrer „Überlebenswirtschaft“ setzen Sie auch auf Rationierung, sodass es beispielsweise CO₂-Budgets pro Mensch und Nahrungsration geben könnte. 

Herrmann: Um ein Missverständnis zu vermeiden: Wenn die Leute hören „Kriegswirtschaft wie bei den Briten 1940“, denken alle sofort: „Oh Gott, dann sind wir auch wieder so arm“. Und dann wird irgendwie das Brot zugeteilt und man hat nur zwei Kleider im Jahr und jedes Kleid darf nur fünf Knöpfe haben und Ähnliches. Aber so wäre es ja eben nicht. Wir hätten die Methode der Briten, aber wir wären ja so reich wie 1978. Die Rationierung würde also anders laufen: Man würde jetzt nicht bis ins letzte Kleid irgendetwas vorschreiben, sondern man würde sozusagen an den großen Stellschrauben drehen. 

Ein Thema, das absolut zentral ist: Man müsste Wohnraum rationieren, weil Zement eben enorme CO₂-Mengen freisetzt und man nicht mehr wirklich neu bauen könnte. Das wäre aber nicht schlimm, da wir pro Kopf in Deutschland schon 50 m² im Durchschnitt haben. Wenn sich zwei zusammentun, haben die schon 100. Das Problem ist eher, dass diese Flächen im Augenblick alle natürlich falsch und ungerecht verteilt sind. Des Weiteren müsste man Fleisch rationieren, einfach weil Fleisch enorme Mengen an Methan emittiert, was ein riesen Klimatreiber ist. Man müsste jetzt aber nicht ständig hinterher sein, wie viele Bonbons die Leute essen – das war ja früher bei den Briten alles rationiert.

Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit

SPICKER: Sie setzen also darauf, dass man quasi eine demokratische, private Planwirtschaft hat, mit Opposition und Wahlen, aber auch Rationierung und geplanter Wirtschaft.

Herrmann: So ein System ist aus meiner Sicht alternativlos, wenn man Klimaschutz machen will. Das kann man aber nur einführen, wenn 80, 90 Prozent der Leute dafür sind. Da reicht nicht irgendwie eine Stimme Mehrheit im Bundestag. Da braucht man Mehrheiten, die noch größer sind als bei Corona, als es um die Impfung ging. Es muss demokratisch eingeführt werden, sonst kann man es vergessen.

SPICKER: Wie wollen Sie dann dort soziale Gerechtigkeit herstellen? Sie sagen zum Beispiel, dass Rationierung Umverteilung sei. Und wie wollen Sie auch individuelle Freiheiten ermöglichen? In unserem Grundgesetz ist die individuelle Freiheit ja hervorgehoben. Wie wollen Sie organisieren, dass es für Ihren Vorschlag also den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung gibt?

Herrmann: Die Ungleichheit würde durch die Rationierung sinken. Wenn alle das Gleiche kriegen, ist es ja automatisch gerecht. Das Problem hätte man dann nicht mehr. 

Jetzt zu Ihrer Frage nach der Freiheit. Natürlich hätte man auch in diesem System eine gewisse Freiheit. Wenn jetzt jemand sagt, dass er keine 50 m² braucht und viel lieber viel öfter Bahn fahren möchte, kann er ja seine Quadratmeter gegen Bahnkilometer tauschen. In diesem Rahmen wäre sowieso Freiheit. Der eigentliche Punkt ist jedoch, dass es tatsächlich ums Überleben geht und man Freiheit nur haben kann, wenn man erstmal lebt. Es ist völliger Quatsch, Freiheit zu haben, weil man dann in Wahrheit eigentlich auf dem Weg in den Untergang ist. Das ist, das muss man ganz klar sehen, ein Notstandsregime. Wir haben die Zeit verlassen, wo man einfach munter vor sich hin wachsen konnte und die Natur ausbeuten konnte. Im Augenblick tun die Deutschen so, als könnten sie drei Planeten verbrauchen. Es gibt aber nur eine Erde. Man muss zurück in die Grenzen der Natur. Das ist alternativlos, wenn man überleben will. Das Problem mit der Freiheit stellt sich deswegen nicht so dringend.

Aber Privatwirtschaft

SPICKER: Sie wollen trotzdem die Wirtschaft privat und nicht beispielsweise genossenschaftlich organisieren und auch nicht Gewinne gesellschaftlich aufteilen, die soziale Frage lediglich durch Rationierung klären. Wieso wollen Sie nicht gleich das Privateigentum abschaffen?

Herrmann: Das fragen mich viele Leute: Warum nicht Ökosozialismus? Warum jetzt diese komische Form? Das ist jetzt natürlich hart, aber das ist nun mal die historische Wahrheit. Bisher war jeder Sozialismus eine Diktatur. Es gibt bisher keinen demokratischen Sozialismus auf gesamtstaatlicher Ebene, das muss man ernst nehmen. Offenbar ist es so, dass die Leute am Privateigentum kleben. Hinzu kommt noch, dass mein Vater aus der DDR kam und 1958 in den Westen gegangen ist, aber wir hatten ja die ganzen Verwandten im Osten. Da konnte man auch sehen, wie fatal Sozialismus ist, auch für den Umweltschutz. Vielleicht bin ich da durch meine individuellen Erfahrungen extrem skeptisch, aber historisch waren das immer Diktaturen.

Ich würde mal sagen, dass wir den Leuten das Privateigentum lassen. Wir müssen jetzt nicht alle Kämpfe machen, die da so denkbar sind, sondern die Fronten sozusagen klein halten. Trotzdem hat auch mein System enorme Konsequenzen für das Privateigentum. Wenn es beispielsweise keine privaten Autos mehr gibt, würde eine BMW-Eignerin wie Susanne Klatten, heute die reichste Deutsche, ja faktisch enteignet. Sie hätte immer noch ihre BMW-Fabrik, dürfte aber keine Autos mehr produzieren, vielleicht dann Windräder. Hinzu kommt die Rationierung. Auch eine Klatten hätte nur Anspruch auf 50 m². Wenn sie eine ganze Villa hat, dann muss sie da eine WG gründen. Das wäre dann Enteignung auf eine völlig andere Art. 

Dann werde ich gefragt: Warum sollen die Leute denn dann noch überhaupt in der Fabrik irgendwie arbeiten? Das ist Spekulation, aber in künftigen Zeiten könnte es ein Privileg sein, wenn man einen Bürojob hat. Viele werden in der Ökolandwirtschaft arbeiten, Wälder aufforsten oder anderes machen müssen. Weil wir uns sehr stark mit der Natur auseinandersetzen müssen, werden sehr viele Leute mit der Einhegung und Pflege der Natur beschäftigt sein.

Annahmenunsicherheit

SPICKER: Trotzdem basiert ja sehr vieles auf Annahmen, die man dann in die Zukunft projiziert, und die Zukunft ist trotzdem ziemlich unvorhersehbar. Beispielsweise könnte ich mir vorstellen, dass Innovation in solchen Notstandszeiten unter ganz viel Druck durchaus schneller passieren könnte. Und genau dasselbe auch beim Privateigentum, dass es dann ganz andere Mehrheitsverhältnisse dort geben könnte. 

Herrmann: Natürlich kann das sein, die Zukunft ist immer offen und immer unsicher. Man sieht allerdings, dass in den letzten 260 Jahren, egal was für eine Innovation man hatte, immer Energie benötigt wurde. Von dieser Energiefrage kommt man nicht weg. Die ganze Technik läuft mit Energie. Ich sehe nicht, wie man mit Solarpanelen und Windrädern diese Menge an Energie herstellen will. Im Ernst sieht das keiner. Die Menschen haben immer in einem organischen Zeitalter gelebt, sie haben immer nur verbraucht, was die Natur geliefert hat, unter anderem war das Holz als Energiequelle. Dann hat man die fossilen Reservoirs an Gas, Öl und Kohle entdeckt, was ja auch Sonnenenergie ist, aber gespeicherte Sonnenenergie. Die hat man dann verpulvert und jetzt muss man aus dem fossilen Zeitalter wieder zurück ins Organische. Eigentlich kann uns da nur weniger Energie zur Verfügung stehen, weil man eben diese gespeicherte Sonnenenergie, die ganz einfach zu gebrauchen war, nicht mehr hat.

Wachstum möglich

SPICKER: Längerfristig könnte man dann doch vielleicht trotzdem wieder wachsen, wenn es durch Innovation dazu kommen würde, dass mehr Energie zur Verfügung stehen würde.

Herrmann: Erstmal zurück in die Grenzen der Natur und dann hat man Innovation und Effizienzsteigerungen und kann auch wieder wachsen. Doch das ist ein anderes Wachstum. Heute wachsen wir, weil der Kapitalismus Wachstum braucht, um stabil zu sein. Wir wachsen, egal was die Natur dazu sagt. Künftig kann man nur noch wachsen, wenn man in den Grenzen der Natur bleibt – das ist kein kapitalistisches Wachstum.

SPICKER: Superspannend, vielen Dank für das Interview.

¹ emittieren – (umweltgefährdende Stoffe) in die Luft ablassen

Mitarbeit am Interview: Gregor

Titelbild: ©SPICKER

Von Leon Till

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